Michael Jackson war ein Getriebener. Getrieben von Angst, von Selbstzweifeln, von Ehrgeiz. Sein Leben lang fühlte er sich verfolgt.
Verfolgt von seinem Vater, der ihm die Kindheit buchstäblich zerschlug, wenn es sein musste mit dem Lederriemen. Verfolgt von seinen Fans, die ihm auf Schritt und Tritt hinterherliefen, lange bevor er volljährig war. Verfolgt von den anderen Stars, die vor ihm schon gross waren und die er um jeden Preis übertreffen musste. Musste, nicht wollte, Michael Jackson hatte keine Wahl. «Gott will mich auf der Bühne haben, weil ich nur da die Nummer eins bin», hatte Michael Jackson einmal gesagt. «Wir sind Zeugen der unwiderstehlichsten Freak-Show in der Geschichte des Pop», hatte der berühmte Musik-Kolumnist Michael Musto gesagt.
Griff nach den Sternen
Doch bevor Jacksons Karriere einstürzte wie seine Nase, die nach ungezählten Operationen schliesslich durch eine Prothese ersetzt werden musste, kam eine fantastische, atemberaubende Karriere, auf deren Höhepunkt er sich mit der einen Hand zwischen die Beine griff und mit der anderen nach den Sternen.
Michael Joseph Jackson kam am 29. August 1958 in der düsteren Industriestadt Gary im US-Bundesstaat Indiana als Mittleres von neun Kindern des Kranführers und Hobby-Gitarristen Joe und dessen Frau Katherine zur Welt.
Als Michael fünf ist, formt Papa Joe seine Jungs mit harter Hand zur Kinderband, tingelt mit ihnen durch Turnhallen und kleine Diners. Michael ist der Leadsänger. «Ich musste bis spät nachts singen. Wenn ich Fehler machte, schlug mich mein Vater. Mal mit einem Gürtel, mal mit einer Reitgerte», schrieb Jackson in seiner Autobiografie «Moonwalk». Eine Kindheit gibt es nicht. Aber dafür kommt der Erfolg.
Bereits 1969 haben die Jackson Five ihren ersten Millionen-Hit: «I Want You Back», 1971 folgen sechs goldene Schallplatten, 1972 wird Michaels Song «Ben» für den Oscar nominiert. Mit dreizehn hat Jackson bereits mehr erreicht und ist länger im Geschäft als die meisten Stars in ihrem ganzen Leben. Und das ist erst der Anfang.
Doch es ist auch ein Ende. Das Ende seiner Kindheit, genauer: seiner Kinderjahre. Eine Kindheit hat er nie gehabt, er wird ihr bis ans Ende seines Lebens nachjagen. Es ist diese verzweifelte, traurige, weil unmögliche Jagd, die ihn am Ende zerstören wird. Und es beginnt damit, dass er sich die Nase operieren lässt. Um nicht auszusehen wie der verhasste Vater. Wenigstens im Spiegel möchte Michael sich nicht verfolgt sehen.
Baryschnikow des Pop
1982 dann explodiert Michaels Ruhm mit einem einzigen Album, «Thriller», der erfolgreichsten Platte aller Zeiten. Im Jahr darauf, am 25. März 1983 zeigte er bei einer Motown-Geburtstagsgala zum ersten Mal den Moonwalk. Jetzt war er nicht nur der erfolgreichste Musiker. Er war auch einer der grössten Tänzer. Er hatte eine Showbiz-Supernova gezündet. Doch der Feuerball geriet ihm ausser Kontrolle.
Er produzierte mit «Apocalypse Now»-Regisseur Francis Ford Coppola den teuersten Film aller Zeiten, zumindest im Preis pro Minute: 1,2 Millionen Dollar für 60 Sekunden kostete der 3-D-Streifen «Captain Eo», der aber nur in Disneyworld gezeigt wurde und laut der wenigen, die ihn gesehen haben, sein Geld offenbar nicht wert war.
Fünf Jahre brauchte Jackson für das nächste Album, «Bad», produziert von seinem alten Freund Quincy Jones. Er wollte sich selbst übertreffen. Natürlich konnte das nicht gelingen. Er machte einfach die zweiterfolgreichste Platte aller Zeiten. Die meisten würden sich darüber freuen. Aber Jackson nicht. Bei einer Umfrage, wer die beliebtesten Stars aller Zeiten sind, kommt er nur auf Platz sechs, nach Elvis, den Beatles, den Rolling Stones, Bruce Springsteen und John Lennon. Michael reagiert zunehmend gekränkt. «Warum nennen sie Elvis den King? Warum nicht mich?», fragt er wütend seinen Manager.
Er hat seinen Körper zum fehlerlosen Instrument trainiert, 1,80 Meter gross, 55 Kilo leicht. Ein Perfektionist. John Lennon sagte mal, er sei wie Jesus. Was dachte wohl Jackson, wer er sei?«Newsweek» nennt ihn den «Baryschnikow des Pop», Steven Spielberg «einen Faun in einem brennenden Wald» – Jackson selbst nennt sich «den einsamsten Mensch der Welt».
Missbrauchsvorwürfe
Und er versinkt langsam in einer bizarren Fantasiewelt. Bis Anfang der 1990er-Jahre hat Jackson sich als Marketingprodukt unter Kontrolle. Die meisten der abstrusen Gerüchte streut er selbst, wie dass er im Sauerstoffzelt schlafe oder sein Affe Bubbles das Zimmer aufräume. Doch langsam entgleitet dem Kontrollfreak sein Image. Und hinter den Nebelbomben der gestreuten Falschinformationen zeichnet sich die Katastrophe seines Lebens ab.
Der «Missbrauch des 13-jährigen Gameboy-Fans Jordan Chandler» reisst ihm den Boden unter den Füssen weg. Detailliert wird der Frage nachgegangen, ob Jackson vor Jordan masturbierte und Jordan oral befriedigt haben soll. Zur Beweisführung werden Jacksons Genitalien nach Besonderheiten untersucht. Alles in der Öffentlichkeit. Bis ein Vergleich mit Chandlers Eltern über 20 Millionen die Gerüchte zum Schweigen bringt.
Fortan irrlichtert Jackson durch die reale Welt. Er sagt Konzerte ab, wegen «Austrocknung», «vereitertem Zahn», «Drogen-Missbrauch». Er zieht sich in die Traumwelt seiner Ranch Neverland zurück. Mit Flamingos, Giraffen, Elefanten und «Bubbles», seinem Lieblingsschimpansen. Fährt weiter mit Kindern Karussell. Überhaupt Kinder: Sie sind die Einzigen, vor denen er keine Angst hat. Vor den erwachsenen Fans flieht er auch schon mal auf die Toilette des Weissen Hauses, beim Präsidentenbesuch. «Ich habe Angst vor der Welt da draussen. Ich fühle mich wie ein Spaghettistängel. Die Leute ziehen und zerren an mir, als wollten sie mich in Stücke reissen.» Der Getriebene. Jetzt zerstört er sich selbst.
Musikalisch hat er sein Lebenswerk längst beendet. Ihm fehlt die Kraft, die Kreativität, die Disziplin. 2002 demonstriert er in London auf der Strasse gegen seine Plattenfirma mit dem Schild «Sony kills music». Die Zahl der Feinde werden mehr, Michael Jackson zum Paranoiker.
Spätestens nach der zweiten Anklage wegen Kindesmissbrauchs im Jahr 2005 ist er seelisch und körperlich ein Wrack. Obwohl freigesprochen, fühlt er sich ungeliebt und heimatlos. Er flieht ins Königreich Bahrain, wo der Sohn von König Hamad bin Isa al-Khalifa ihn beherbergt. Ideal für ihn: In diesem islamischen Land kann er sich verschleiert in der Öffentlichkeit bewegen. Dann folgt Dubai, ein altes Schloss in Irland, bevor er sich in einer Mini-Villa am Stadtrand von Las Vegas verschanzt.
Das Ende
Seinen Dämonen will er mit Dämonen bekämpfen. Schon im Jahr 2000 beauftragt er in Genf den Voodoo-Priester Baba aus Mali: «Bring mir David Geffen, Steven Spielberg um!» Und noch 22 weitere «Feinde». Was nicht billig ist: 150000 Dollar kassierte Baba – trotz Erfolglosigkeit. Mit dem Blut von sechs Schafen sollte später die ägyptische Mystikerin Samia von ihrem Genfer Wohnsitz aus Geister verscheuchen. Auch einen Voodoo-Priester mit der Spezialität Geld aus dünner Luft zu machen, wollte Jackson engagieren. Denn mittlerweile war er pleite. Geschätzte 750 Millionen Dollar hat er, der knallhart in geschäftlichen Verhandlungen war und nur die besten Deals für sich herausgeholt hatte, verdient. Am Ende seines Lebens war Jackson nicht nur musikalisch, sondern auch finanziell am Boden. Manche beziffern seine Schulden auf 150 Millionen Dollar, manche auf hundert Millionen mehr.
Einer seiner Geldgeber, so wird vermutet, ist der Kreditvermittler Al Malnik aus Florida. Der 69-jährige Anwalt verteidigte den legendären Mafia-Boss Meyer Lansky vor Gericht, und es wird gemunkelt, er habe nach dessen Tod die Geschäfte des Gangsters übernommen. Jedenfalls taucht er bei Jacksons letzter CD unter «Special Thanks» auf.
So tief also war Jackson gesunken. Bankrott und kaputt operiert. Seine Albträume waren wahr geworden. Er war lange schon nicht mehr der Grösste. Doch damit konnte er nicht leben.