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  Michael Jackson, Regent meiner Kindheit.
 

Michael Jackson, Regent meiner Kindheit.

 

Den Tag, an dem Michael Jackson stirbt, habe ich mit 11 nicht für möglich gehalten. Oft habe ich gefragt: „Mama, wann stirbt eigentlich der Papst?“, denn es erschien mir plausibel, dass ein ergrauter Mann irgendwann sterben würde, auch wenn er eine Ikone war. Den Gedanken, der King of Pop könnte sterben, verdrängte ich erfolgreich im Glauben, dass sein Tod etwas so Skandalöses wäre, dass alle Erdenbürger sich vor Trauer und Verzweiflung umbringen müssten: evolutionsbiologisch hätte Michael Jacksons Existenz also keinen Sinn, und ich war überzeugt davon, dass es Michael Jackson war, der die Welt zusammen hielt. Denn die meine hielt er zusammen wie Popel und Leim. Ich balancierte über den Strick einer bitteren Kindheit mit „Billy Jean“ auf den Ohren und „Bad“ auf den Lippen.


Ich neige nicht zu Fantum, finde Nachrufe cheesy und schäme mich, mit dem Flow der Informationsgesellschaft zu gehen, aber Michaels Einfluss auf mein Leben ist so unermesslich groß gewesen, dass ich nicht anders kann, als ihm mit diesem kleinen Blogeintrag zu gedenken. Zumal es mich wütend macht, wie auf Twitter und Co. Michael Jacksons Ableben zynisch, geschmacklos und scheusslich kommentarbegleitet wurde. Die Menschen lieben es, Ikonen fallen zu sehen. Ich schlage mich auf die Seite derer, die Michael für seine Musik geliebt haben und für die er eine ebensolche oder eine ähnlich große Rolle gespielt hat wie für mich, die ich Jahrgang 1981 im abgelaufenen Ausweis führe.

Als ich 5 war, hatte ich eine Freundin namens Ania. Sie wohnte nur einige Häuser weiter. Bei ihr im Haus zu spielen war wunderbar, weil ihr Vater ein MTV-besessener Musiknerd war und uns immer die Charts aus dem Westen vorspielte, zu denen wir abspackten, dass die Schwarte krachte. Völlig verzottelt und zappelig kam ich nachhause und brüllte Michael Jackson-Songs im Lalala-Kinderstil meinen Eltern in die welken Ohren. Und immer, wenn ich außer Rand und Band war, nannte meine Mutter mich „Majkäl Dschecksonn“. Unterschwellig vermittelte man mir aber im Elternhaus, dass irgendwas an meinem Idol „böse“ war und ich lieber andere Leute imitieren sollte. Ich spürte das auch, aber es war keine Gefahr im Cocktail drin, sondern pure Aufregung und urbane Coolness: eine Vorstellung von Amerika als Paralleluniversum, in dem Leute wie Michael Jackson Cartoonhelden gleich durch surreale Gerüstbauten fetzen.

In den folgenden Jahren hörte ich „Thriller“ und „Bad“ jeden Tag nonstop. Der Vater meiner Freundin hatte mir alles auf Kassette überspielt. Mein Vater half mir, die Lyrics zu übersetzen. „Annie, bist du okay? Bist du okay, Annie?“ – Ich konnte die Texte in und auswendig noch bevor ich ein Wort Englisch sprach. „Moonwalker“ hatte Papa mir auf VHS aufgenommen und ich verbrachte Stunden damit, Teile der Choreographie zu lernen, so dass ich in der 5. Klasse „Moonwalking“-Kurse auf dem Schulhof geben konnte. Das konnte ich wirklich gut. Vom zusammengesparten Taschengeld kaufte ich mir eine schwarze Perücke. Sie hieß „Zigeunerin“ und war nicht wirklich Jacko, aber andere Optionen hatte ich nicht. Als meine Nase begann, einen Höker zu entwickeln, drückte ich sie vor dem Schlafengehen immer mit dem Zeigefinger nach oben, weil ich hoffte, sie möge sich durch diese Behandlung zu einem Jacksonschen Stuppsnäschen entwickeln.

Kann man noch mehr Fan sein, als durch Körpermanipulation und äußeres Erscheinungsbild seinem Idol so ähnlich wie möglich werden zu wollen? Man kann. Mit 11 entwickelte ich eine Obsession, die mir in ihren Auswirkungen beinahe gefährlich wurde. Michael Jackson hatte gerade „Dangerous“ rausgebracht und die Jugendmagazine barsten mit Postern, Berichten, Stickern und Bügelbildern. So begann ich, heimlich BRAVO, PopRocky und POPCORN zu lesen und sammelte buchstäblich jeden Schnipsel in einem, zwei, bald fünf berstenden Ordern zusammen. Es war die Zeit, in der Michael Jackson am Schönsten war. Er hatte einen Gedichtband mit Fotografien herausgegeben: „Dancing the Dream“. Auf den Porträts, die darauf zu finden waren, inszenierte er sich als einsamer Prinz von unendlicher Traurigkeit. Das alles war Wasser auf die Mühlen nie gekannter Begehrlichkeiten. Ich identifizierte mich mit ihm, denn auch ich war eine einsame Prinzessin, die weinend aus ihren Träumen erwachte in einem Moment, in dem ihr inne wurde, dass sie in Wirklichkeit ein hässliches Kind mit schäbigen Klamotten war, das nicht in einem Elfenbeinpalast in einer Wüste aus Goldstaub wohnte, sondern in einem kleinen, eklig möbilierten Zimmer einer schimmelanfälligen Mietshauswohnung. Das Wunder von Michael Jackson bestand darin, dass er nicht menschlich war, obwohl er wirklich zu existieren schien. Er war die Fleisch gewordene Phantasie, die ein Kind, das sich wie kaum ein anderes nach Märchen sehnt, einfach in den Wahnsinn führen musste. Und wie wunderschön fielen die seidenen Locken in das bleiche Gesicht, wie tief der Blick aus diesen Augen in einem Gesicht, dass weder das einer Frau noch das eines Mannes war. Ich glaube, die erste menschliche Schönheit, die ich als solche registrierte, war seine, und sie prägt bis heute mein (ästhetisches) Faible für das Androgyne, Zerbrechliche und Mysteriöse.


Ich wollte Michael nicht küssen, ich wollte nur mit ihm zusammen sein. Wollte, dass er mich in sein „Reich“ entführt, in dem wir beide auf einem weißen Ross durch rotglühende Wüstenlandschaften reiten, kein Mensch weit und breit, nur ich und er in alle Ewigkeit. Der Liebeskummer und die Sehnsucht waren enorm. Ich konnte nicht essen, nicht schlafen, nicht lachen. Blättere ich durch Familienalben aus der Zeit, muss ich traurig lächeln. Auf nahezu allen Bildern verdecke ich mir das Gesicht in Trauer, schaue tranig zur Seite, Walkman auf den Ohren und „Will you be there“-Jacko-Shirt auf dem Leib. Ich litt so sehr. Bis ich eines Tages beschloss, von zuhause wegzulaufen.


Hier ein typisches Foto dieser Art. Das Kind denkt an Jacko und nicht etwa an die tragischen Implikationen des rosa Outfits.

Michael war in einem Kölner Hotel zugegen. Die Tatsache, dass nur 50 Kilometer mich von ihm trennten, machte mich panisch und setzte mich unter Zugzwang. Ich wollte, dass er mich als Waisenkind bei sich aufnimmt. Und glaubte so fest an die Möglichkeit, dass ich eines Tages eine große Tasche packte und das Haus verließ, um zum Bahnhof zu preschen. Irgendwie würde ich mir das Fahrgeld schon zusammen schnorren, irgendwie würde ich herausfinden, wie ich nach Köln komme, wo das Hotel ist und alles Weitere würde ich vor Ort planen. Unglücklicherweise putzte meine Mutter gerade die Küchenfenster und sah mich mit der Tasche den Weg zum Bahnhof hinauflaufen. Ohne zu zögern rannte sie aus dem Haus und holte mich ein, die ich nun zappelnd und schreiend mich von ihr zurückschleppen lassen musste. Das gab Anschiss und Zimmerarrest. Aber ich musste mir nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.

Viele Male sollte ich noch weinen. Als die Mutter einer Freundin erzählte, Michaels Nase würde abfaulen zum Beispiel. Da fiel ich beinahe in Ohnmacht. Oder als Michael sich zum ersten Mal als sexuelles Wesen zu erkennen gab, im Video zu „In the Closet“ mit Naomi Campbell. Da konnte ich vor Seelenschmerz nicht mehr atmen. Oder als bekannt wurde, dass Michael geheiratet hatte. Da bekam ich einen Nervenzusammenbruch.

Doch weil die Zeit alle Wunden heilt und neue Helden die Bühne des Herzens betreten (hier: Die Ärzte), verschwanden langsam die Poster, die Schnipsel, die mit klagevollen Gedichten vollgeschriebenen Tagebücher aus meinem Zimmer…

Was blieb: Respekt, Verständnis, Bewunderung, und die kleinen Fußspuren, die der Moonwalk auf meinem Herzen hinterlassen hat. Mit Michael Jackson lernte ich Gefühle wie Melancholie, Sehnsucht und Entfremdung kennen, diese Edelmänner unter den dunklen Regungen. Er prägte meine ungebrochene Liebe zu Äffchen, Uniformen und Androgynie. Seine Musik gab mir soviel Glück in all den Jahren und hinterließ so viele entrückte Bilder die der Phantasie noch heute Nahrung geben. Er bleibt für mich ein König, als Kunstfigur und als Musiker, wie sehr sich die Mäuler an ihm zerreißen mögen.

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Diese zwei Songs sind für immer:



 
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